von Annika Tröger
FORSCHUNGSANLASS
Das sächsische Schulsystem hat im Bereich ganztägiger Bildung in den letzten zwei Jahrzehnten eine rasante Entwicklung erlebt. Dabei stand und steht häufig der Nutzen unterschiedlicher Ganztagsangebote (GTA) für die Lernenden im Fokus bildungspolitischer Diskurse (vgl. Wiere 2011, S. 19). Zudem befasst sich die umfangreichste Studie zum Thema Ganztag – die Studie zur Entwicklung der Ganztagschule (StEG-Studie) – vorwiegend mit konzeptionellen und organisatorischen Analysen zur Organisationskultur, Angebotsqualität und Nutzungsintensität (vgl. Popp 2011, S. 34). „Studien über subjektive Sichtweisen von Lehrpersonen auf ihren Beruf und ihr professionelles Selbstverständnis in ganztägigen Einrichtungen unter gewandelten sozialen, schulorganisatorischen und -konzeptionellen Bedingungen liegen nicht vor.“ (ebd.). Dabei sind die Lehrkräfte an Schulen mit GTA ein ganz entscheidender Faktor, denn die Personalentwicklung hat Auswirkungen auf die Qualitäts- und Schulentwicklung (vgl. Kamski 2011, S. 121f.).
Daraus ergibt sich zwangsläufig die Frage, inwiefern die Lehrkräfte an Schulen mit GTA für ihre Arbeit und die gewandelten Anforderungen qualifiziert werden. Im Folgenden wird, basierend auf den Ergebnissen einer sachsenweiten Befragung unter Lehrkräften an Schulen mit GTA, diskutiert, inwiefern ein Fortbildungsbedarf zum Thema Ganztag besteht sowie Handlungsempfehlungen für die Lehrer*innenbildung und -forschung unterbreitet.
THEORETISCHE GRUNDLAGEN
Das Thema Ganztag ist aus dem deutschen bzw. sächsischen Schulsystem nicht mehr wegzudenken. Gab es bereits in den 1950er-Jahren erste Ideen zu ganztägiger Bildung (vgl. Appel/Rutz 2005, S. 19), rückte die Thematik mit dem PISA-Schock im Jahr 2001 zunehmend in den Fokus der Bildungspolitik (vgl. Kusch 2011). Die Kultusministerkonferenz (KMK) beschloss als Konsequenz aus den Ergebnissen der PISA-Studie „Maßnahmen zum Ausbau von schulischen und außerschulischen Ganztagsangeboten“ (KMK 2001). In den darauffolgenden Jahren förderte der Bund den Ausbau der Ganztagsangebote mit finanziellen Mitteln in Höhe von 4 Milliarden Euro (vgl. BMBF 2003, S. 3), wovon auch der Freistaat Sachsen profitierte. Daneben erfolgte in Sachsen der Ausbau der Ganztagsangebote mithilfe landeseigener Fördermittel, deren Zuteilung durch diverse Förderrichtlinien festgeschrieben wurde (vgl. SMK 2005; 2007; 2011; 2013; 2015; 2017; 2019a). Im derzeit geltenden sächsischen Schulgesetz steht unter §16a, dass Ganztagsangebote an den Schulen angeboten werden sollen, was eine Verpflichtung impliziert (vgl. SMK 2018, S. 15). Betrachtet man aktuelle Statistiken stellt man fest, dass etwa 98% der Schulen in Sachsen Schulen mit GTA sind (vgl. KMK 2020, S. 1).
Diese Entwicklung lässt die Vermutung zu, dass besonders die Lehrkräfte an sächsischen Schulen von den raschen Veränderungen betroffen waren und noch heute sind. Der Aspekt ‚Ganztag‘ eröffnet allen Schulbeteiligten neue Möglichkeiten für und Perspektiven auf schulische Bildung. Entsprechend der veränderten Situation an den Schulen müssen Lehrkräfte qualifiziert werden.
Inzwischen gibt es in der erziehungswissenschaftlichen Literatur zahlreiche Verweise auf die Aufgaben und Anforderungen, welche Lehrkräfte an Schulen mit GTA bewältigen müssen (vgl. Appel/Rutz 2005, S. 177f.; SMK 2019b; Speck 2012, S. 58f.). Auf Grundlage dessen ist es möglich, ein umfangreiches Qualifikationsprofil einer Ganztagsschullehrkraft zu erstellen, welches für deren Arbeit relevante Kompetenzen, Fachwissen und Persönlichkeitsmerkmale umfasst. Diese Qualifikationen müssen in der Ausbildung von künftigen Lehrkräften (universitäres Studium und Referendariat) sowie durch Fortbildungsmaßnahmen während der Lehrtätigkeit im Schuldienst angebahnt und ausgeprägt werden. Allerdings zeigt der ‚Monitor Lehrerbildung‘, dass bspw. in der ersten Ausbildungsphase das Thema Ganztag an den sächsischen Universitätsstandorten in unterschiedlicher Quantität und mit uneinheitlichen Schwerpunktsetzungen thematisiert wird und somit keine einheitlichen Vorgaben zu ganztagsspezifischen Lehrinhalten bestehen (vgl. CHE 2017). Zudem gibt es in Sachsen in vergleichsweise geringem Umfang Möglichkeiten für Lehrkräfte, an Fortbildungen zum Thema Ganztag teilzunehmen (vgl. SBI 2020; Ganztagsschulverband e.V. 2020).
Nachfolgend wird der Fokus auf die Fortbildungsmaßnahmen für sächsische Lehrkräfte zum Thema Ganztag gerichtet, wobei festzuhalten ist, dass es in Sachsen eine Fortbildungspflicht für Lehrkräfte gibt, diese aber weder Vorschriften zum konkreten Umfang noch eine Nachweispflicht beinhaltet (vgl. Kuschel/Richter/Lazarides 2020; SMK 2018, S. 30). Hinzu kommt, dass weder bundes- noch sachsenweit systematische, empirische Erhebungen hinsichtlich des Fortbildungsbedarfs von Lehrkräften zum Thema Ganztag existieren (vgl. DVLfB 2018, S. 96), obwohl dieser Aspekt offenbar eine wichtige Problematik im (sächsischen) Schulsystem darstellt. Aus diesem Grund geht die hier vorgestellte Studie der Frage nach: Inwiefern besteht bei sächsischen Lehrkräften ein Fortbildungsbedarf zum Thema Ganztag?
METHODISCHES VORGEHEN
Aufgrund der (mangelhaften) Datenlage wird eine explorative Methode gewählt, bei der sachsenweit Grundschul-, Förderschul-, Oberschul- und Gymnasiallehrkräften mithilfe eines Online-Fragebogens befragt werden. Dabei wird untersucht, wie häufig die Lehrkräfte an Fortbildungen zum Thema Ganztag teilnehmen. Zudem schätzen die Lehrkräfte ihre eigene Kompetenz in Bezug auf das Thema Ganztag und ihr Wissen in neunzehn verschiedenen ganztagsspezifischen Themenbereichen ein. Diese Themenbereiche werden auf Grundlage von bundesweiten Fortbildungsinhalten zum Thema Ganztag sowie unter Einbezug der Aufgaben und Anforderungen einer Ganztagsschullehrkraft definiert (vgl. Appel/Rutz 2005, S. 175ff.; Speck 2012 S. 58ff.; SMK 2019b; Rothland 2009, S. 496ff.). Schlussendlich haben die Lehrkräfte im Rahmen der Befragung die Möglichkeit, Wünsche und Anregungen hinsichtlich der Themen bzw. Formate von Fortbildungen zum Thema Ganztag zu äußern.
Neben den verschiedenen Schulformen wird auch das Dienstalter der Teilnehmenden abgefragt. Im Ergebnisteil erfolgt eine vergleichende Auswertung der Daten hinsichtlich der vier verschiedenen Schulformen. Diese Vorgehensweise eignet sich gut, um fragenspezifische Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Lehrkräften unterschiedlicher Schulformen aufzuzeigen und direkte inhaltliche Vergleiche zu ermöglichen. An dieser Stelle wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Befragung deutliche Unterschiede hinsichtlich der Anzahl der Befragten in Bezug auf ihre Zugehörigkeit zu den jeweiligen Schulformen zu verzeichnen sind. Das bedeutet, dass der Ergebnisdarstellung für die Befragungsgruppe der Förderschullehrkräfte lediglich 19 vollständige Fragebögen zugrunde liegen, wohingegen die Ergebnisse der übrigen Befragungsgruppen aus Antworten von jeweils mehr als 50 Fragebögen bestehen (Grundschule: 84, Oberschule: 55, Gymnasium: 129). Entsprechend müssen die Ergebnisse unter diesem Hintergrund stets kritisch betrachtet werden.
Die Differenzierung anhand des Dienstalters der Befragten ist in diesem Fall nicht sinnvoll, weil zum einen die Stichprobe insgesamt zu wenig Proband*innen beinhaltet und zum anderen eine starke Ungleichverteilung der Werte vorliegt. Zusammengenommen bedeutet dies, dass im extremsten Fall die Antworten von 6 Teilnehmenden (Befragungsgruppe mit Dienstalter von 11 bis 15 Jahren) mit den Antworten von 61 Teilnehmenden (Befragungsgruppe mit Dienstalter 1 bis 5 Jahre) verglichen würden. Anhand dessen lässt sich erkennen, dass die resultierenden Ergebnisse wenig repräsentativ wären. Die Problematik lässt sich nicht lösen, indem man die Altersspanne von den angenommenen fünf Jahren auf zehn Jahre erhöht, da die angesprochenen Differenzen bestehen bleiben. Zudem ist eine Altersspanne von zehn Jahren angesichts der Entwicklung von Schulen mit GTA in Sachsen wenig aussagekräftig, da sich diese ungefähr binnen 15 Jahren vollzog.
Die Befragung fand im Zeitraum vom 28. Januar 2021 bis einschließlich 02. März 2021 statt – insgesamt 290 Lehrkräfte beantworteten den Fragebogen bestehend aus neun Fragen bzw. 30 Items. Die Stichprobenauswahl wurde zufällig getroffen. Die Befragung wurde vollständig anonymisiert mithilfe des Umfrage-Tools LimeSurvey durchgeführt und die Beantwortung der Fragen dauerte maximal 10 Minuten. Ausgewertet wurden die Daten ebenfalls mithilfe des Tools LimeSurvey sowie unter Verwendung von EXCEL. Im Ergebnissteil finden nur jene Datensätze Berücksichtigung, welche von den Teilnehmenden vollständig ausgefüllt und abgesendet wurden.
ERGEBNISSE
Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse der Umfrage in komprimierter Form dargestellt.
An der Befragung nahmen Lehrkräfte jedes Dienstalters (1 bis 45 Jahre im Schuldienst) teil. Die größte Gruppe unter den Befragten stellen Lehrkräfte an Gymnasien mit 44,5% dar, 29% sind an Grundschulen tätig und 19% an Oberschulen. Der Anteil der Förderschullehrkräfte beträgt 6,6%, was in absoluten Zahlen einer Anzahl von 19 (von 290) Befragten entspricht.
Auf die Frage nach der Selbsteinschätzung der Kompetenzen in Bezug auf das Thema Ganztag antwortet die Hälfte der Lehrkräfte, dass sie die eigenen Kompetenzen als gut empfindet und weitere 14,1% als sehr gut. 33 von 290 Befragten (11,4%) schätzen die eigene Kompetenzen als ausreichend oder mangelhaft ein. Dabei fällt auf, dass Förderschullehrkräfte ihre Kompetenz im Bereich Ganztag vergleichsweise am besten, Gymnasiallehrkräfte hingegen am schlechtesten einschätzen.
In Abbildung 1 ist zu sehen, wie häufig sächsische Lehrkräfte an Fortbildungen zum Thema Ganztag teilnehmen, wobei die Befragten jeglichen ganzzahligen positiven Zahlenwert beginnend mit der Zahl Null angeben konnten.
Abb. 1: Durchschnittliche Anzahl der besuchten Fortbildungen zum Thema Ganztag innerhalb des vergangenen Jahres bzw. der vergangenen 5 Jahre, differenziert nach Schulformen
Demnach nehmen sächsische Lehrkräfte an Schulen mit GTA durchschnittlich an weniger als einer Fortbildung zum Thema Ganztag pro Jahr teil, für den Zeitraum von fünf Jahren liegt der Wert bei 2,53 Fortbildungen. Von den 290 befragten Lehrkräften antworten 186 (dies entspricht 64,2%), dass sie im vergangenen Jahr an keiner Fortbildung zum Thema Ganztag teilgenommen haben. 37,9% der Teilnehmenden geben an, dass sie in den vergangenen fünf Jahren an keiner derartigen Fortbildung teilnahmen.
Am häufigsten besuchen Lehrkräfte von Förderschulen Fortbildungen zum Thema Ganztag. Mit nur durchschnittlich 0,41 Fortbildungen im vergangenen Jahr bzw. 1,56 Fortbildungen in den vergangenen fünf Jahren bilden die Gymnasiallehrkräfte die Gruppe mit der geringsten Fortbildungsanzahl.
Abbildung 2 beinhaltet die Selbsteinschätzungen der Lehrkräfte zu neunzehn ganztagsspezifischen Themenbereichen hinsichtlich des individuellen Wissensstands, wobei in der Abbildung keine Differenzierung nach Schulformen vorgenommen wird.
Abb. 2: Zusammenfassende Darstellung der Selbsteinschätzung des Wissens zu neunzehn ganztagsspezifischen Themenbereichen, alle Schulformen
Über das meiste Wissen verfügen die befragten Lehrkräfte zu den Themenbereichen ‚Hausaufgaben und Lernzeiten‘ (35,9% ‚kenne ich sehr gut‘), ‚individuelle Förderung und Differenzierung‘ (35,5% ‚kenne ich sehr gut‘) und ‚Rolle der Lehrkraft an einer Schule mit GTA‘ (32,8% ‚kenne ich sehr gut‘). Zu den Themenbereichen ‚Mittagsverpflegung und Mittagszeit‘ sowie ‚Unterricht und Lernkultur‘ schätzen die Lehrkräfte ihr Wissen überwiegend als gut oder sehr gut ein. Bei zwei Themenbereichen gibt die Mehrheit der Lehrkräfte an, diese eher nicht oder nicht zu kennen, nämlich für die Items ‚Sozialraumanalyse und Sozialraumorientierung‘ und ‚aktuelle statistische Befunde zu Schulen mit GTA‘. Für ersteres geben über ein Drittel an, dass sie den ganztagsspezifischen Themenbereich nicht kennen – in Bezug auf die statistischen Befunde liegt der Wert bei 29,3%. Zudem fehlt es etwa jeder zehnten Lehrkraft an Wissen zu Fristen, zur Beantragung und Abrechnung von Ganztagsangeboten. Auch zu den Aspekten ‚Verzahnung von GTA und Unterricht‘ sowie ‚Gestaltung von Schulentwicklungsprozessen‘ scheinen die Lehrkräfte über vergleichsweise weniger Wissen zu verfügen.
In den folgenden beiden Abbildungen ist dargestellt, welche Wünsche die Lehrkräfte in Bezug auf Themen von Fortbildungen zum Thema Ganztag (Abb. 3) und deren Formate (Abb. 4) äußern. Es handelt sich um zusammenfassende Darstellungen, da beiden Items offene Fragenformate zugrunde liegen. Die numerischen Werte entsprechen den absoluten Häufigkeiten der jeweiligen Antworten.
Abb. 3: Übersicht über die am häufigsten genannten Wünsche zu Fortbildungsthemen für Fortbildungen zum Thema Ganztag, alle Schulformen
Abb. 4: Übersicht über die am häufigsten genannten Wünsche zu Fortbildungsformaten für Fortbildungen zum Thema Ganztag, alle Schulformen
DISKUSSION
Wie bereits angedeutet ist eine differenzierte und relativierende Interpretation aufgrund der Anzahl der Umfrageteilnehmenden und der Art der Stichprobe vorzunehmen. Entsprechend ist festzustellen, dass die Anteile der verschiedenen Befragungsgruppen differenziert nach Schulformen nicht der aktuellen Verteilung von Lehrkräften an sächsischen Schulen mit GTA entsprechen (vgl. KMK 2020, S. 1ff.). Demnach sind Gymnasiallehrkräfte in der Befragung mutmaßlich überrepräsentiert, Grundschullehrkräfte hingegen unterrepräsentiert (vgl. ebd.). Außerdem gilt es zu beachten, dass die Ergebnisse der Lehrkräfte an Förderschulen unter der Maßgabe verhältnismäßig geringer Teilnahmezahlen (lediglich 19 Lehrkräfte) zu betrachten sind.
Insgesamt ist festzuhalten, dass die überwiegende Anzahl der Befragten ihre Kompetenzen in Bezug auf das Thema Ganztag als gut oder sehr gut einschätzt und nur sehr wenige der Ansicht sind, dass ihre Kompetenzen im Bereich Ganztag mangelhaft sind. Nichtsdestotrotz muss man den Lehrkräften, welche ihre eigene Kompetenzen als ‚ausreichend‘ oder ‚mangelhaft‘ beschreiben, vermehrt Beachtung schenken, was bei der durchgeführten Befragung jede neunte Lehrkraft betrifft. Immerhin blickt man in Sachsen auf eine jahrelange Entwicklung der Schulen mit GTA zurück, was bedeutet, dass nunmehr über 15 Jahre Zeit war, das Thema Ganztag sowohl in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften zu etablieren. Bei einem nahezu flächendeckenden Ausbau der Schulen mit GTA (vgl. Reinhardt 2018, S. 21; SMK 2020a) ist es daher erschreckend, dass eine so große Anzahl an Lehrkräften mutmaßlich über unzureichende berufliche Kompetenzen für die tagtägliche Arbeit an den jeweiligen Schulen verfügt.
Ebenso kritisch ist die Anzahl der besuchten Fortbildungen zu betrachten, da knapp zwei Drittel der Befragten Lehrkräfte angibt, im vergangenen Jahr an keiner Fortbildung zum Thema Ganztag teilgenommen zu haben. Etwa jede dritte Lehrkraft hat in den vergangenen fünf Jahren keine derartige Fortbildungsmaßnahme besucht, was in Anbetracht von Schulqualität und -entwicklung sowie individueller Qualifizierung negativ zu bewerten ist. Im vergangenen Jahr nahmen die befragten Lehrkräfte im Durchschnitt an weniger als einer Fortbildung zum Thema Ganztag teil, heruntergerechnet auf ein Jahr liegt der Durchschnittswert für die vergangenen fünf Jahre sogar darunter. Am besten schneiden dabei die Förderschul- und Oberschullehrkräfte ab, deutlich geringer ist die Teilnahmequote bei den Gymnasiallehrkräfte (siehe Abb. 1).
Besonders für diese Befragungsgruppe, aber auch für alle anderen, ist es wünschenswert, eine höhere Fortbildungsanzahl anzustreben, um damit einhergehende neue berufliche Qualifikationen zu initiieren oder bestehende auszubauen. In diesem Zusammenhang kommen Überlegungen zur Fortbildungsverpflichtung auf: wie in allen Bundesländern besteht in Sachsen eine Fortbildungspflicht für Lehrkräfte (vgl. SMK 2018, S. 30), allerdings gibt es weder Vorgaben zum Fortbildungsumfang noch zur Nachweispflicht. Kuschel, Richter und Lazarides beschreiben in einer Studie, dass sich das Teilnahmeverhalten von Lehrkräften nur begrenzt durch gesetzliche Verpflichtungen steuern lässt (vgl. Kuschel et al 2020, S. 227). Genauer gesagt konnte keine konsistente Wirkung einer Verpflichtung zum Fortbildungsumfang auf die Fortbildungsteilnahme festgestellt werden. Zudem gibt es keine signifikanten Zusammenhänge zwischen einer höheren Teilnahmewahrscheinlichkeit von Lehrkräften in Bundesländern mit Nachweispflicht im Gegensatz zu Lehrkräften, welche keiner derartigen Verpflichtung unterliegen. Allerdings zeigt die Studie, dass Lehrkräfte, welche konkreten Vorgaben zum Umfang zu absolvierender Fortbildungen und einer bestehenden Nachweispflicht unterliegen, an mehr Fortbildungen teilnehmen als Lehrkräfte ohne jene Verpflichtungen (vgl. ebd., S. 225f.). Daraus lässt sich ableiten, dass eine allgemeine, gesetzliche Fortbildungs- bzw. Nachweispflicht nicht zwangsläufig zu höheren Teilnahmequoten führen muss. Allerdings bleibt zu überlegen, inwiefern Anreize (beruflicher Aufstieg, Gehaltserhöhungen) für die Teilnahme an Fortbildungen zum Thema Ganztag geschaffen werden können (vgl. ebd., S. 226f.).
Aus den Ergebnissen in Abbildung 2 lassen sich einige Schwerpunkte erkennen, zu denen sächsische Lehrkräfte ihr Wissen als unzureichend einschätzen und dementsprechend zusätzliche (Fort-)Bildungsmaßnahmen besonders sinnvoll wären. In Sachsen existiert allerdings bisher keine allgemeine Verpflichtung zur Belegung ganztagsrelevanter Module im Lehramtsstudium und das Thema Ganztag ist weder in der ersten noch in der zweiten Ausbildungsphase prüfungsrelevant (vgl. Speck 2012, S. 62). Nachdem das Thema Ganztag somit weder im Studium noch im Referendariat verpflichtend ist, gibt es darüber hinaus keine Verpflichtung zur Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen während der Lehrtätigkeit an Schulen mit GTA. Schlussfolgernd bedeutet dies, dass man sich als Lehrkraft in Sachsen Wissen und Kompetenzen zu diversen ganztagsspezifischen Themenbereichen aneignen kann, aber es nicht muss. Vor dem Hintergrund, dass knapp 98% der Schulen in Sachsen Schulen mit GTA sind (vgl. KMK 2020, S. 1), besteht hier noch deutliches Entwicklungspotential.
Es ist daher wichtig sicherzustellen, dass angehende Lehrkräfte in Sachsen vor dem Eintritt in den Schuldienst über ein Mindestmaß an ganztagsspezifischem Wissen verfügen und anschließend berufsbegleitend ausreichend Möglichkeiten für die Weiterqualifizierung bereitgestellt werden. Dass Lehrkräfte über kaum oder kein Wissen zu den abgefragten ganztagsrelevanten Themenschwerpunkten verfügen, sollte die Ausnahme sein. Wichtige Schritte hierfür wären die Etablierung verpflichtender, prüfungsrelevanter Module in allen Lehramtsstudiengängen sowie die Thematisierung des Aspekts Ganztag im Rahmen schulpraktischer Studien unter Einbezug des pädagogischen Personals an Schulen mit GTA (vgl. Meidinger 2008, S. 124f.; Appel/Rutz 2005, S. 179). Ziel sollte dabei nicht sein, dass sämtliche Lehrkräfte Expert*innen in allen Aufgabenbereichen einer Ganztagsschullehrkraft werden (vgl. Appel/Rutz 2005, S. 176), da dies augenscheinlich unrealistisch ist. Allerdings muss es Aufgabe der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften sein, grundlegendes Wissen und Kompetenzen im Bereich Ganztag zu vermitteln.
In Bezug auf das Thema Fortbildungen zum Thema Ganztag (siehe Abb. 3) wünschen sich die Lehrkräfte unter anderem Veranstaltungen, bei denen Beispiele für gelungene Ganztagskonzepte an sächsischen Schulen vorgestellt werden. Zudem interessieren sich viele für die Arbeit mit Kooperationspartnern und den damit einhergehenden Aufgaben, wobei einige Lehrkräfte den Wunsch eines ‚Anbieter-Katalogs‘ für externe Kooperationspartner äußern. Tatsächlich existiert eine solche Datenbank auf der Website des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus (SMK), allerdings umfasst diese derzeit lediglich 15 Angebote (vgl. SMK 2020b), was in Anbetracht von aktuell mehr als 1400 sächsischen Schulen mit GTA (vgl. SMK 2020a) verschwindend gering erscheint. Die Idee ist augenscheinlich ausbaufähig in Bezug auf die Anzahl der Anbieter, wobei für das Angebot sowohl bei potentiellen Kooperationspartnern als auch bei Schulen bzw. Lehrkräften mehr Aufmerksamkeit generiert werden muss. Das allgemeine Problem unzureichender oder fehlender Kommunikation in Bezug auf Fortbildungs- und Informationsmöglichkeiten zum Thema Ganztag wird durch diverse Anmerkungen der Lehrkräfte im Rahmen der Befragung ebenfalls deutlich.
Zudem wünschen sich Lehrkräfte Fortbildungen zum Themenbereich ‚Zeitstruktur und Rhythmisierung‘, in denen speziell Möglichkeiten der Verlagerung außerunterrichtlicher Angebote in den Vormittagsbereich und konkrete, praxisorientierte Beispiele für alternative Zeitkonzepte behandelt werden. Darüber hinaus erachten Lehrkräfte Veranstaltungen zu den Themen ‚Beantragung, Abrechnung und Fristen von GTA‘ sowie ‚rechtliche Grundlagen‘ als hilfreich, was angesichts der sich fortlaufend ändernden Gesetzesgrundlagen seitens des SMK nachvollziehbar ist. An dieser Stelle wird kritisiert, dass Änderungen teilweise unzureichend kommuniziert und zu wenig unterstützende Maßnahmen bei der praktischen Umsetzung der Regelungen angeboten werden. Möglicherweise könnten Angebote wie digitale Fragerunden bzw. Webinare mit Verantwortlichen des SMK oder Handreichungen mit praxisorientierten Handlungsempfehlungen, welche die Gesetzestexte ergänzen, bereits hilfreiche Mittel bei der Lösung dieser Problematik sein.
Neben Themenvorschlägen für Fortbildungen äußerten die Befragten auch Wünsche bezüglich der Fortbildungsformate (siehe Abb. 4). Am häufigsten nannten die Lehrkräfte die Aspekte ‚Online-Formate‘ und ‚Austausch mit anderen Schulen‘. Ersteres lässt sich zum einen mit der aktuellen Pandemielage und dem damit verbundenen Ausfall von Präsenzveranstaltungen und zum anderen mit der zeitsparenden Nutzung von Online-Formaten für die Fortbildungsteilnehmenden begründen. Dieser Vorteil wird auch im Zusammenhang mit dem Wunsch nach regionalen oder schulinternen Fortbildungen genannt, da die oft großen Anfahrtsstrecken zu den Veranstaltungsorten entfallen.
Des Weiteren wünschen sich Lehrkräfte praxisorientierte Angebote wie bspw. Workshops oder Projekte, sodass theoretisches Wissen konsequent im Schulalltag Anwendung finden kann. Darüber hinaus schlagen einige Lehrkräfte ganz- oder mehrtägige Fortbildungsformate vor, was impliziert, dass Lehrkräfte bereit sind, sich intensiv und mit einem gewissen Zeitaufwand dem Thema Ganztag zu widmen. Daher erscheint es wichtig, durch gezielte Angebote verstärkt auf diejenigen Lehrkräfte einzugehen, welche sich aktiv für ganztägige Bildung an sächsischen Schulen engagieren, aber gleichzeitig auch jene Lehrkräfte für Fortbildungsmaßnahmen zum Thema Ganztag zu gewinnen, welche sich in diesem Bereich bisher weniger eingebracht haben.
Angesichts dieser Ergebnisse sowie fehlender Studien besteht eine weitere Handlungsempfehlung darin, regelmäßige und systematische Bedarfserhebungen zum Thema Fortbildung und Ganztag zu etablieren. Mithilfe der Bedarfsermittlungen können die Bedürfnisse der Lehrkräfte erfasst und entsprechend regionale oder sachsenweite Maßnahmen ergriffen werden. Durch eine wissenschaftliche Begleitung dieser Maßnahmen ist es möglich, deren Wirkungen zu evaluieren und zu reflektieren, was wiederum für zukünftige Angebotsplanungen relevant ist.
FAZIT
Grundlegend ist festzuhalten, dass es durchaus Lehrkräfte in Sachsen gibt, die über ausreichend Fachwissen und Kompetenzen zum Thema Ganztag zu verfügen scheinen. Gleichzeitig zeigen die Daten Wissenslücken und Verbesserungspotentiale in diversen Bereichen bzw. Themenschwerpunkten auf.
Daraus folgt, dass das Potential von Fortbildungsmöglichkeiten zum Thema Ganztag in Sachsen bei weitem noch nicht ausgeschöpft wird und eine gezieltere und nachhaltigere Qualifizierung der Lehrkräfte notwendig ist. Allerdings bestehen, unter Berücksichtigung der erläuterten Handlungsvorschläge, große Chancen für eine positive Entwicklung, wovon nicht nur Lehrkräfte, sondern auch pädagogisches Personal, Eltern und – am wichtigsten – die Lernenden profitieren.
In Anbetracht dessen müssen Debatten über die Qualitätsentwicklung der Ganztagsangebote in Sachsen stets die Problematik der Qualifizierung des Fachpersonals beinhalten, da sonst Gefahr gelaufen wird, einen wesentlichen Punkt des umfangreichen Konzepts ganztägiger Bildung zu vernachlässigen. Daher liegt der Schluss nahe, dass die (Fort-)Bildung der Lehrkräfte als ebenso wichtig anerkannt werden sollte, wie die der Lernenden. Entsprechend müssen für die Aus- und Fortbildung im Bereich Ganztag zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden. Hierfür scheinen weitere Untersuchungen, ausgehend von den im Beitrag dargelegten Ergebnissen, unerlässlich. Die Problematik muss dafür von den zuständigen Institutionen als solche erkannt und bestenfalls zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
LITERATURVERZEICHNIS
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ZITATIONSVORSCHLAG
Tröger, Annika (2021): Fortbildungsbedarf sächsischer Lehrkräfte zum Thema Ganztag., In: Bülau, Christoph (Hrsg.): Ganztag entwickeln. Verfügbar unter: www.ganztag-entwickeln.de
PERSISTENTE URN
urn:nbn:de:bsz:15-qucosa2-789071 (Langzeitarchiv-PDF auf Qucosa-Server)
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