von Cordula Baumann
WELCHE CHANCE KOOPERATION BIRGT
Durch den Ausbau von Schulen mit Ganztagsangeboten wird mehr und mehr auf multiprofessionelle Kooperationen gesetzt. Dabei sollen einerseits pädagogische und bildungspolitische Zielsetzungen wie individuelle Förderung, die Anreicherung schulischer Lerngelegenheiten sowie Reduktion von Bildungsungleichheit und -ungerechtigkeit erfüllt werden. Andererseits fordert die längere zeitliche Präsenz und die größere Komplexität der Aufgaben einen verstärkten Fokus auf andere Professionen (vgl. Preis/Kanitz 2018, S. 176). Diese können neue Methoden und Kompetenzen in die Schule einbringen, das unterrichtszentrierte Lernen erweitern und eine umfassendere Bildung von Kindern und Jugendlichen ermöglichen (vgl. Arnoldt/Züchner 2008, S. 633). Durch die Öffnung der Schule zum Sozialraum hin und durch die Kooperation mit außerschulischen Partner*innen haben Schulen mit Ganztagsangeboten die Chance, ihr Bildungsprogramm über den Lehrplan hinaus auszudehnen und auch Aspekte der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen in der Schule aufzugreifen (vgl. ebd.).
WER KOOPERIERT AN EINER SCHULE MIT GANZTAGSANGEBOTEN?
An einer Schule mit Ganztagsangeboten sind zahlreiche Personen angestellt, die nicht zum Lehrpersonal gerechnet werden. Diese Mitarbeiter*innen sind sehr heterogen in Hinblick auf Qualifikation, Umfang der Beschäftigung und Berufsgruppenzugehörigkeit (vgl. StEG-Konsortium 2010, S. 23). Die größte Gruppe ist die des pädagogischen Personals, darunter zählen Lehrer*innen, Erzieher*innen oder das in den meisten Fällen (sozial-)pädagogisch geschulte Personal der Jugendhilfe. Laut der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) sind die häufigsten externen Kooperationspartner*innen Sportvereine und Vertreter*innen des Kulturbereiches sowie Anbieter*innen der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. StEG-Konsortium 2019, S. 12). Im Grundschulbereich fallen hierunter auch Horte mit 23 Prozent im Bundesdurchschnitt.
Abb. 1: Wer arbeitet an einer Schule mit Ganztagsangeboten?, Quelle: Wichmann 2014, S. 61.
Es kommt nun darauf an, dass diese verschiedenen Berufsgruppen zu einem professionellen Miteinander finden. Dies bedarf einer Veränderung des beruflichen Selbstverständnisses und der Organisation der schulischen Abläufe. Es ist von erheblicher Bedeutung, dass sich die Akteur*innen der Schule auf ein grundlegendes pädagogisches Konzept einigen, das jenseits der Betreuungsfunktion liegt und an dem sich alle Angebote messen lassen müssen (vgl. Carle 2014, S. 67). Diese Angebote sollten somit nicht als Lückenfüller für Betreuungszeiten am Nachmittag fungieren, sondern eine eigene inhaltliche Bedeutung haben und als eigenständige Bildungsgelegenheiten angelegt sein, die wiederum im Konzept der Schule verankert und mit dem Unterricht abgestimmt sind (vgl. Arnoldt/Züchner 2008, S. 633). Die Erwartungen sind dementsprechend hoch: Von multiprofessionellen Teams wird sich erhofft, dass sich durch sie sowohl die Effektivität einer Schule steigert, sich Schüler*innenleistungen erhöhen, der Erfahrungshorizont der Schüler*innen an außerschulischen Lernorten zunimmt und die Solidarität unter allen Beteiligten wächst (vgl. Carle 2014, S. 66; Rahm/Rabenstein 2015, S. 141).
KENNZEICHEN UND AUSPRÄGUNGEN VON MULTIPROFESSIONELLEN TEAMS
Multiprofessionelle Kooperation sollte von reiner Interaktion, Kommunikation und Koordination abgegrenzt werden. Vielmehr sollte sie gekennzeichnet sein durch ein gemeinsames Ziel und durch Autonomie, Reziprozität und Wertschätzung (vgl. Jutzi et al. 2013, S. 95). Damit soll eine Verzahnung der verschiedenen Handlungsfelder durch eine gemeinsame Planung erreicht werden. Hier, so zeigt u.a. die StEG-Studie, gibt es allerdings noch Nachholbedarf (vgl. StEG-Konsortium 2010, S. 25). Kooperation bei Lehrkräften findet demnach vor allem auf den Unterricht bezogen statt, aber seltener im Rahmen der Schulentwicklung. Kooperationen innerhalb des Lehrpersonals findet zwar durchaus häufiger statt, aber vor allem bei der Zusammenarbeit mit dem weiteren pädagogischen oder dem nichtpädagogischen Personal gibt es noch viel Verbesserungspotential. Oft fehlen die notwendigen Kooperationsstrukturen und eine entsprechende Kooperationskultur (vgl. Bellin/Tamke 2009, S. 111). Die beiden Autorinnen konnten auch nachweisen, dass die Kooperation zwischen Lehrpersonen und sonstigem pädagogischen Personal sich eher auf einen informellen Erfahrungsaustausch („Flurgespräche“) beschränkte und es kaum zu systematischen und unterrichtsbezogenen Formen der Zusammenarbeit wie gegenseitigen Hospitationen, gemeinsam durchgeführten Diagnostikverfahren oder Elterngesprächen kommt (vgl. ebd.).
Abb. 2: Angabe der Lehrkräfte zur Kooperation mit dem weiteren pädagogisch tätigen Personal, eigene Darstellung, nach Bellin/Tamke 2009, S. 112.
Ein Grund für dieses Ergebnis sind vor allem die zeitlichen Ressourcen. Für eine Verbesserung des Ganztags ist die längere Anwesenheit von Lehrpersonen notwendig, um die Angebote von Vor- und Nachmittag besser zu verzahnen (vgl. ebd., S. 118).
Besonders die Einbindung von externen Kooperationspartner*innen stellt eine Schule vor ganz neue, vor allem auch administrative Aufgaben. Kommen neue Beteiligte in eine Schule mit Ganztagsangeboten, muss deren Kompetenz und Eignung geprüft werden, Absprachen und Regelungen getroffen werden (vgl. Carle 2014, S. 70). Dies stellt oft einen erheblichen zeitlichen Aufwand dar. Aus diesem Grund ist auch hier eine langfristige Kontinuität der Kooperation und eine sichere finanzielle Ausstattung von großem Vorteil. Zu diesem Ergebnis kommen auch Olk et al. (Olk 2011, S. 67) und nennen noch weitere strukturelle Probleme bei der Kooperation in Schulen mit Ganztagsangeboten: unzureichende Kooperationskonzepte, berufskulturelle Abgrenzungsprozesse und dementsprechendes hierarchisches Denken.
GELINGENSBEDINGUNGEN VON MULTIPROFESSIONELLEN TEAMS AN SCHULEN MIT GANZTAGSANGEBOTEN
Um als Team gemeinsam zu agieren, erscheinen eine Rollenklärung und -definition, die Absprache von Zuständigkeiten, eine klare Aufgabendifferenzierung, gemeinsame Weiterbildungsangebote und Professionalisierungsmöglichkeiten als essenziell (vgl. Jutzi et al. 2013, S. 99). Genauso wichtig ist eine wertschätzende und professionelle Kommunikation. In der dritten Phase der StEG-Studie wurde zwischen 2016 und 2019 eine Teilstudie zum Thema Kooperation an Ganztagsschulen durchgeführt. Diese Teilstudie „StEG-Kooperation“ (vgl. StEG-Konsortium 2019, S. 55) kommt in ihrem Fazit zu wesentlichen Bedingungen, die zentral sind für das Gelingen von multiprofessioneller Kooperation:
Abb. 3: Gelingensbedingungen für multiprofessionelle Teams an Ganztagsschulen, eigene Darstellung nach Carle 2014; S. 69, StEG 2019, S. 55; Wichmann 2014, S. 64.
Alle genannten Bedingungen sind wichtig und essenziell, zentral aber ist der Wille aller Beteiligten gemeinsam am Projekt Schule mit Ganztagsangeboten zu arbeiten, Strukturen zu schaffen und zu nutzen und zum Wohle der Schüler*innen neue Wege zu gehen. Letztendlich werden multiprofessionelle Teams nur dann wirklich funktionieren, wenn alle Beteiligten einen Mehrwert und Zugewinn in der Kooperation erkennen und erleben können. Erst aus der Einsicht der Notwendigkeit wird die Motivation entstehen, den Mehraufwand an Absprachen und Zusammenarbeit in Kauf zu nehmen (vgl. Thimm 2008, S. 815). Wenn alle diese Gelingensbedingungen ineinander greifen, ist es möglich, mit funktionierenden Ganztagesangeboten an Schulen etwas ganz Besonderes zu erschaffen: nämlich ganz neue Bildungslandschaften, die verschiedenste Schüler*innen auf ihrem Lernweg begleiten und unterstützen, Lernorte miteinander vernetzen und so ein lebensweltliches und ganzheitliches Lernen ermöglichen (vgl. Wichmann 2014, S. 64).
LITERATURVERZEICHNIS
Arnoldt, B./Züchner, I. (2008): Kooperationsbedingungen an Ganztagsschulen. In: Coelen, T./Otto, H.-U. (Hrsg.): Grundbegriffe Ganztagsbildung. Das Handbuch, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 633-644.
Bellin, N./Tamke, F. (2009): Ganztagsschule in Berlin. In: Merkens, H. et al. (Hrsg.): Ganztagsorganisation im Grundschulbereich. Münster: Waxmann, S. 110-120.
Carle, U. (2014): Gelingende Zusammenarbeit multiprofessioneller Teams an Ganztagsschulen. In: Erdsiek-Rave, U./John-Ohnesorg, M. (Hrsg.): Individuell Fördern mit multiprofessionellen Teams. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung. S. 66-71.
Jutzi, M. et al. (2015): Bedingungen multiprofessioneller Kooperation in zehn Schweizer Tagesschulen. In: Schüpbach, M. et al. (Hrsg.): Kooperation als Herausforderung in Schule und Tagesschule. Bern: Haupt, S. 95-110.
Olk, T. et al. (2011): Professionelle Kooperation unterschiedlicher Berufskulturen an Ganztagsschulen – Zentrale Befunde eines quantitativen Forschungsprojektes. In: Stecher, L. et al. (Hrsg.): Ganztagsschule: Neue Schule? Eine Forschungsbilanz. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Sonderheft 15/2011, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 63-80.
Preis, N./Kanitz, K. (2018): Multiprofessionelles Arbeiten in der Lehrerbildung. Strategien und Realisierungsformate. In: heiEDUCATION 2018, H. 1/2, S. 175-195. URL: https://doi.org/10.17885/heiup.heied.2018.1-2.23831 (Zugriff: 14.07.2020).
Rahm, S./Rabenstein, K. (2015): Kooperation an der Ganztagsschule. In: Rahm, Sibylle et al. (Hrsg.): Basiswissen Ganztagsschule. Konzepte, Erwartungen, Perspektiven. Weinheim: Beltz, S. 140-175.
StEG-Konsortium (2010): Ganztagsschule. Entwicklungen und Wirkungen. Ergebnisse der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen 2005-2010. Eine Veröffentlichung des StEG-Konsortiums. URL: https://www.pedocs.de/volltexte/2020/19105/pdf/SteG_2010_Ganztagsschule_Entwicklung_und_Wirkungen.pdf (Zugriff: 15.07.2020).
StEG-Konsortium (2019): Individuelle Förderung. Potentiale der Ganztagsschule. URL: https://www.pedocs.de/volltexte/2020/19109/pdf/SteG_2019_Individuelle_Foerderung_Potenziale_der_Ganztagsschule.pdf (Zugriff: 14.07.2020).
Thimm, K.-H. (2008): Personelle Kooperation und Fortbildung. In: Coelen, T./Otto, H.-U. (Hrsg.): Grundbegriffe Ganztagsbildung. Das Handbuch, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 809-818.
Wichmann, M. (2014): Vom Einzelkämpfer zur Kooperationskultur – Multiprofessionelle Teamarbeit an Ganztagsschulen. In: Erdsiek-Rave, U./John-Ohnesorg, M. (Hrsg.): Individuell Fördern mit multiprofessionellen Teams. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung. S. 60-64.
Comments