Von Josy Marie Riedel
Die Schulzeit schafft nicht nur Freunde und schöne Erinnerungen, sondern kann ebenso Feinde, Stress und Leistungsdruck hervorbringen. Ganztagsangebote, sprich eine Steigerung der Zeit in der Schule, erscheinen so womöglich risikohaft. Daher sollen im folgenden Beitrag die psychische Gesundheit von Lernenden beleuchtet und Möglichkeiten zur positiven Förderung dieser an Schulen mit Ganztagsangeboten aufgezeigt werden.
PSYCHISCHE GESUNDHEIT – WAS IST DAS UND WOFÜR IST SIE WICHTIG?
Psychische Gesundheit bedeutet Wohlbefinden. Sie ist die Grundlage für Lebensqualität, für das Erbringen von Leistung und für das Interagieren mit Mitmenschen (vgl. RKI, o.J.). Unser Wohlbefinden steht unter verschiedenen Einflüssen. Hierzu gehören individuelle Merkmale, Umweltfaktoren sowie soziale Verhältnisse. Sind diese im Einklang, so können wir „funktionieren“ und uns selbst verwirklichen (vgl. WHO, 2019, S. 1).
Folglich spielt die psychische Gesundheit auch für Schüler*innen eine entscheidende Rolle, denn sie ist hier die Voraussetzung, um den Anforderungen im Unterricht gerecht zu werden, erfolgreich zu lernen sowie sich im Umgang mit Mitschüler*innen zu bewähren. Umgekehrt wiederum wird die psychische Gesundheit aber auch durch Schulerfolge und einen positiven sozialen Umgang gefördert (vgl. Bestvater, Paulus & Witteriede, 2012, S. 9f.). Wird die psychische Gesundheit negativ beeinträchtigt, können die Folgen von einer Minderung des emotionalen Wohlbefindens bis hin zu psychischen Störungen reichen (vgl. RKI, o.J.). Typische Erkrankungen sind dabei Angststörungen, psychosomatische Beschwerden ebenso wie Depressionen, welche die Erkrankten ihr ganzes Leben lang begleiten können. Eine besondere Gefahr ist hierbei, dass diese Störungen internalisiert, sprich nach innen gerichtet, sind. Die betroffenen Schüler*innen kontrollieren ihr Verhalten, wirken angepasst und fallen somit nicht auf (vgl. Bilz, 2014, S. 121). Folglich zeichnet sich die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen als höchst essentiell ab. Dazu kommt außerdem, dass die Schulzeit der Übergang zum Erwachsensein und demnach sowohl beruflich als auch persönlich eine entscheidende Rolle spielt (vgl. ebd., S. 125).
WIE STEHT ES UM DIE PSYCHISCHE GESUNDHEIT DER SCHÜLER*INNEN?
„Ein Viertel aller Schulkinder in Sachsen zeigt psychische Auffälligkeiten“ (DAK-Gesundheit Sachsen, 2019) zeigte eine Studie mit dem Schwerpunkt „Ängste und Depressionen bei Schulkindern“ im Auftrag der DAK-Gesundheit bei der 800.000 minderjährige Versicherte teilnahmen. Unter den zehn- bis 17-jährigen Lernenden wiesen 1,6 Prozent eine Depression und 2,2 Prozent eine Angststörung auf (vgl. ebd.). In der Sekundarstufe sind in Sachsen etwa 220.000 Heranwachsende zu verzeichnen (vgl. Statista, 2022). Werden die genannten Prozentwerte hochgerechnet, sind etwa 10.000 der sächsischen Schüler*innen von zehn bis 17 Jahren betroffen (DAK-Gesundheit Sachsen, 2019).
Die Studienteilnehmer*innen wurden auch bezüglich depressiver Symptome befragt. Hierbei dokumentieren beispielsweise acht Prozent der Jungen und 26 Prozent der Mädchen, dass sie in der Woche vor der Studienbefragung traurig waren. Auffällig ist stets der prozentuale Unterschied zwischen den Geschlechtern: Mädchen berichteten häufiger von depressiven Symptomen (vgl. Greiner, Batram & Witte, 2019, S. 223f.).
Abb. 1: Anteil der Schüler*innen, die angaben, „oft/meistens“ depressive Symptome zu erleben, nach Geschlecht und Schulart, Quelle: Greiner, Batram & Witte, 2019, S. 224.
Anhand der Studie ist folglich festzuhalten, dass nicht alle Lernenden psychisch gesund sind, obwohl dies für den Schulalltag hinsichtlich Leistungserbringung und Sozialleben essentiell ist (vgl. Bestvater, Paulus & Witteriede, 2012, S. 9).
WIE WIRD DIE PSYCHISCHE GESUNDHEIT SCHULISCH BEEINFLUSST?
Mitentscheidend für die psychische Gesundheit von Lernenden ist das Klassenklima, wobei zwei Dimensionen aufzuführen sind. Erstere betrifft das schulische Lernen. So sollte der Unterricht interessant, abwechslungsreich und lebensnah sein. Außerdem ist ein gesundes Maß an Herausforderung, nicht aber Überforderung essentiell, um die Psyche der Schülerschaft positiv zu unterstützen. Eintöniger und überfordernder Unterricht wiederum, stellt einen Risikofaktor für die psychische Gesundheit der Schülerschaft dar. Die zweite Dimension betrifft den sozialen Faktor des Klassenklimas. Hier steht die Akzeptanz und Unterstützung durch Mitschüler*innen, was sich positiv auf das Wohlbefinden auswirkt, den Risikofaktoren Ausgrenzung und Mobbing gegenüber. Die psychische Gesundheit wird schulisch demnach von der Unterrichtsqualität und den Lernbedingungen sowie von dem Verhältnis zu Mitlernenden beeinträchtigt.
Dieser Einfluss ist allerdings vorrangig als indirekt zu betrachten, denn letztlich kommt es darauf an, wie sich die Faktoren auf das Selbstkonzept der Kinder und Jugendlichen auswirken. So kann in Folge der Dimensionen des Klassenklimas eine negative Selbstsicht des Lernenden auf seine schulischen und sozialen Fähigkeiten resultieren, was schließlich zu psychischen Problemen führt (vgl. Bilz, 2014, S. 127ff.).
Abb. 2: Schule und emotionale Probleme von Schülerinnen und Schülern, Quelle: Bilz, 2014, S. 130.
WIE KANN EINE SCHULE MIT GANZTAGSANGEBOTEN DIE PSYCHISCHE GESUNDHEIT FÖRDERN?
Bietet eine Schule nach der Unterrichtszeit Ganztagsangebote an, so kann sich der reguläre Schultag bis etwa 15 oder 16 Uhr verlängern (vgl. Höhmann, Kamski & Schnetzer, 2014, S. 25). Dieser Zugewinn an Zeit sollte, ebenso wie die mit den Ganztagsangeboten einhergehende Bereicherung an Raum und Kooperation, als Chance angesehen werden.
Im Folgenden werden Möglichkeiten für die psychische Gesundheitsförderung von Lernenden in Schulen mit Ganztagsangeboten aufgezeigt.
Ideale Unterrichtsvoraussetzungen
Wie sich herausgestellt hat, spielt der Unterricht eine entscheidende Rolle für das Selbstkonzept, welches wiederum auf die Psyche der Schüler*innen wirkt. Dementsprechend sollte dieser zunächst die Forderung nach Selektion hinter sich lassen und zu einer individuellen Förderung übergehen (vgl. Bilz, 2014, S. 133). Dabei empfiehlt sich auch eine Kooperation der Lehrkräfte. Diese wirkt positiv auf die Lehrergesundheit und damit auch auf das Klassenklima. Außerdem kann die Zusammenarbeit helfen, zurückhaltende Lernende nicht zu übersehen (vgl. Bestvater, Paulus & Witteriede, 2012, S. 67).
Bewegungsförderung
Bewegung dient als Ausgleich, kann Stress reduzieren und die positive Entwicklung sowie ein positives Selbstkonzept unterstützen. Ganztagsangebote bieten so die Möglichkeit, Sport in den Alltag zu integrieren und auf die dabei unterschiedlichen Interessen der Schülerschaft einzugehen (vgl. ebd., S. 33).
Kooperation mit außerschulischen Partnern
Durch die Kooperation mit außerschulischen Partnern kann die Auswahl der Ganztagsangebote erweitert werden. So bietet sich eine Zusammenarbeit etwa mit Musikschulen, Sportvereinen oder Jugendhilfe an. Damit ist es möglich ein breiteres Spektrum der Schülerschaft zu erreichen und folglich mehr Schüler*innen in ihren Interessen gerecht zu werden sowie das soziale Miteinander zu stärken (vgl. ebd., S. 35).
Gegenseitige Wertschätzung
Mittels positiven und ermutigenden Feedbacks können Lehrkräfte die Kinder und Jugendlichen in ihrem Selbstwert stärken, demzufolge auf ihr Selbstkonzept sowie letztlich auch auf deren psychische Gesundheit positiv wirken (vgl. Bilz, 2014, S, 135f.). Essentiell ist dabei sowohl Authentizität sowie Gerechtigkeit im Umgang mit der Schülerschaft. Um der Wertschätzung mehr Achtung zu schenken, sind eine Lob- und Danktafel sowie Lobkarten für etwa besondere Hilfsbereitschaft oder außergewöhnlichen Einsatz, welche die Schüler*innen sammeln können, denkbar. Hat ein Lernender eine entsprechende Anzahl an Kärtchen erreicht, so wird er mit einem Foto am Lobbaum besonders gewürdigt (vgl. Bestvater, Paulus & Witteriede, 2012, S. 50ff.). Für die Gestaltung und Organisation des Ganzen kann ein Ganztagsangebot eingeführt werden, welches so im Zusammenhang mit Kreativität und Kunst steht.
Prävention vor Intervention
Der soziale Umgang stellt einen Einflussfaktor für die psychische Gesundheit dar. Ist Gewalt, Ausgrenzung und Mobbing einmal aufgetreten, gestaltet es sich als schwierig, diese wieder vollständig einzuhegen. Deshalb sollten sie von vornherein durch Präventionsmaßnahmen verhindert werden. Emotionale Probleme müssen deshalb thematisiert werden, ob im Unterricht oder als Zusatzveranstaltung. Das Einbeziehen von Schulpsycholog*innen und Sozialpädagog*innen bietet dafür die optimale Unterstützung (vgl., Bilz, 2014, S. 132f.). Auch das Ganztagsangebot „Streitschlichter“ ist dienlich, um aufkommende Konflikte direkt aus dem Weg zu räumen (vgl. Bestvater, Paulus & Witteriede, 2012, S. 59). Sollte es dennoch zu physischer oder psychischer Gewalt kommen, sollte unmittelbar eingegriffen werden (Bilz, 2014, S. 134). Ebenfalls ist die Kommunikation zwischen Schüler*innen, Lehrkräften, Sozialpädagogen, der Schulleitung, den Eltern/ Erziehungsberechtigten und eventuellen weiteren schulischen Mitarbeiter*innen eine essentielle Präventionsmaßnahme (vgl. Bestvater, Paulus & Witteriede, 2012, S. 59f.).
Patenprojekte schaffen
An offenen, additiv organisierten Ganztagsschulen, wie sie vor allem in Sachsen weit verbreitet sind, bieten sich Patenprojekte vor allem für Begleit- und Austauschprozesse an. So kann es Angebote geben, bei denen ältere Lernende Paten Jüngerer werden, um sie beispielsweise beim Mittagessen zu begleiten und in Austausch zu treten. So haben die Jüngeren eine Bezugsperson und den Paten wird ein Gefühl von Nützlichkeit vermittelt. Auch können die Paten damit mögliche Konflikte erkennen und es kann frühzeitig eingegriffen werden (vgl. ebd., S. 28).
Partizipation der Lernenden
Die aktive Einbeziehung von Schüler*innen in Entscheidungsprozesse kann deren Motivation, die Vorhaben tatkräftig umzusetzen, erhöhen. Dies fördert neben Teamfähigkeit auch das Selbstvertrauen. Hierfür bieten sich Klassensprecher*innen an. Diese können Ideen stellvertretend für ihre Klassen im beispielsweise wöchentlichen Klassenrat sammeln und in Entscheidungen mit einbringen. Die Wünsche der Lernenden werden so umso mehr berücksichtigt. Die Klassensprecher*innen können in einem Ganztagsangebot zusammenkommen, um den Ideen auch klassenübergreifend gerecht zu werden. Auf höhere Ebene sorgt auch ein Schülerrat für mehr Partizipation (vgl. ebd., S. 39ff.).
Kurzum: Mittels eines breitgefächerten Blickes in den Lebens- und Schulalltag der Schüler*innen lassen sich verschiedenste Möglichkeiten für sächsische Ganztagsschulen finden, um die Lernbedingungen und das Sozialklima zu optimieren. Damit kann eine positive Wirkung auf deren Selbstkonzept erzielt und somit die psychische Gesundheit der Lernenden gefördert werden, welche für den weiteren Lebensweg von hoher Bedeutsamkeit ist und folglich ein essentielles Ziel in der Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen sein sollte.
LITERATURVERZEICHNIS
Bestvater, C.; Paulus, P.; Witteriede, H. (2012): Auf zur guten gesunden Ganztagsschule. Eine Handreichung aus dem Projekt „Mit psychischer Gesundheit Ganztagsschule entwickeln. Gestaltungsmöglichkeiten für die Praxis des Schulalltages: Handlungsrahmen, Indikatoren und Beispiele“. Bonn: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung.
Bilz, L. (2014): Was gefährdet die psychische Gesundheit von Schülerinnen und Schülern? Empfehlungen für eine gesundheitsförderliche Gestaltung von Ganztagsschulen. In: O. Enderlein (Hrsg.), Ihr seid gefragt! Qualität von Ganztagsschule aus Sicht der Kinder und Jugendlichen (S. 121–140) (3. Auflage). Berlin: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung.
DAK-Gesundheit Sachsen (2019): Sachsen: Jedes vierte Schulkind hat psychische Probleme. URL: https://www.presseportal.de/pm/50313/4459547#:~:text=Ein%20Viertel%20aller%20Schulkinder%20in,10.000%20Schulkinder%20in%20Sachsen%20betroffen (Zugegriffen am 09.06.2022).
Greiner, W.; Batram, M.; Witte, J. (2019): Kinder- und Jugendreport 2019. Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Schwerpunkt: Ängste und Depressionen bei Schulkindern (Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Band 31). Bielefeld: Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld.
Höhmann, K; Kamski, I.; Schnetzer, T. (2014): Was ist eigentlich eine Ganztagsschule? Eine Informationsbroschüre für Eltern und Interessierte (7. Auflage). Berlin: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung.
Robert Koch-Institut (RKI) (o.J.): Psychische Gesundheit. URL: https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Themen/Psychische_Gesundheit/Psychische_Gesundheit_node.html (Zugegriffen am: 08.06.2022).
Statista (2022): Anzahl der Schüler an allgemeinbildenden Schulen in Sachsen im Schuljahr 2020/2021 nach Schulart und Geschlecht. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1104239/umfrage/schueler-an-allgemeinbildenden-schulen-in-sachsen-nach-schulart-und-geschlecht (Zugegriffen am 09.06.2022).
Weltgesundheitsorganisation (WHO) (2019): Psychische Gesundheit – Faktenblatt. URL: https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/404853/MNH_FactSheet_DE.pdf (Zugegriffen am: 08.06.2022).
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